18. Juli 2016

Rezension zu "Und damit fing es an" von Rose Tremain



Freundschaft, Liebe und Einsamkeit in leisen und sehr eindringlichen, poetischen Tönen bestimmen den wunderbaren Roman "Und damit fing es an" der britischen Schriftstellerin Rose Tremain. Erzählt wird die Lebensgeschichte zweier Männer und die verschlungenen Umwege auf der Suche nach dem Glück und dem richtigen Leben.

Klappentext
Gustav Perle ist ein zurückhaltender Mann. Er wuchs in den 1940er Jahren allein bei seiner Mutter Emilie in ärmlichen Verhältnissen in schweizerischen Matzlingen auf und schon damals hat er gelernt, nicht zu viel vom Leben zu wollen. Als Anton in seine Klasse kommt, ein Junge aus einer kultivierten jüdischen Familie, hält mit ihm das Schöne in Gustavs Leben Einzug. Anton spielt Klavier, und seine Familie nimmt Gustav sonntags mit zum Eislaufen. Emilie sieht das nicht gerne, lebt sie doch in der Überzeugung, dass die Bereitschaft ihres verstorbenen Mannes, jüdischen Flüchtlingen zu helfen, letztlich ihr gemeinsames Leben ruiniert hat. Doch Anton ist alles, was Gustav braucht, um glücklich zu sein...

"...du musst wie die Schweiz sein. ... Du musst dich zusammenreißen und mutig und stark sein und dich heraushalten. Dann wirst du die richtige Art Leben führen."

Der kleine Gustav wird von seiner Mutter Emilie in der winzigen, ärmlichen Wohnung kurz nach Kriegsende in Matzlingen in der Schweiz sehr kurz gehalten. Es mangelt nicht nur an materiellen Dingen, so besitzt Gustav als einziges Spielzeug eine Blecheisenbahn in seinem kalten Zimmer, sondern auch Liebe und Zuneigung durch seine Mutter bleiben ihm verwehrt. Gustav ist sehr bemüht, das richtige Leben zu führen, das den durch ihn nie erfüllbaren Ansprüchen seiner Mutter genügt, jenseits aller Schönheit und allen Vergnügens, genügsam und duldsam, neutral und leise.

"Du bist vielleicht so weit Mutti, aber ich nicht. Es gibt etwas, von dem ich immer gehofft habe, ich könnte es dir beibringen, und das war, mich zu lieben. Aber es ist mir nie gelungen. Oder?"

Mit dem jüdischen Jungen Anton, der weinend als neuer Schüler in die Vorschulklasse kommt, tritt mit geballter Macht Emotionalität, Neugier und Schönheit in Gustavs bis dahin tristes und ereignisloses Leben, der er sich vorsichtig und um das Einverständnis seiner mürrischen Mutter Emilie heischend stellt. Anton profitiert von der Bodenständigkeit, Genügsamkeit und Gelassenheit seines neuen Freundes. In einem Urlaub, zu dem Antons Familie Gustav einlädt, knüpfen sie enge Bande, die ihr ganzes Leben halten sollen, obwohl sie beide lange Zeit suchend und unglücklich bleiben.

Der Roman ist dreigeteilt und berichtet zunächst von der Vorschulzeit der beiden Jungen, blickt im zweiten Teil zurück auf das Leben von Emilie und Erich Perle vor Gustavs Geburt und erzählt im letzten Teil von den beiden Männern Gustav und Anton in der Mitte ihres Lebens in den 1990er Jahren.
Alle drei Teile bewegen sich auf dem Pfad der Suche der Charaktere und beschäftigen sich mehr oder weniger mit Eventualitäten und was-wäre-wenn - Konstellationen. Das Leben entscheidet letztlich, und obwohl es bei keiner der Figuren wirklich außergewöhnlich verläuft, erzählt die Autorin mit eindringlicher Sprache und viel Sensibilität von immer wieder überraschenden Wendungen, was dem Roman trotz der eher leisen Geschichte viel Spannung verleiht.

Das Buch ist gefüllt mit eindrucksvollen emotionalen Schilderungen.
Emilie, die verbitterte und stets unzufriedene Mutter Gustavs und Gustav selbst mit seinen widersprüchlichen Gefühlen leiden beide still und duldsam.
Gustav hat sehr früh und schmerzlich gelernt, zu tun was nötig ist, um sein Leben wieder ins Lot zu bringen. Später findet er Ruhe beim zeitverschwenderischen Kartenspiel:
"Beim Zeitverschwenden ändert man das Wesen der Zeit. Das Herz wird beruhigt."
Sein Freund Anton neigt zu großen Ausbrüchen und lebt seine Emotionalität:
"Ich will nicht, dass mein Herz beruhigt wird. Ich möchte, dass es vor Freude überfließt."

Der Roman hat mich sehr bewegt und mitgerissen, ich war beim Lesen mitten im Geschehen, habe mit den Protagonisten ihre Höhen und Tiefen intensiv durchlebt. Besonders gut gefallen haben mir die leisen Töne, die poetische und dennoch einfache Sprache, mit der vieles nicht bis ins letzte Detail beschrieben, sondern oft sehr geschickt angedeutet ist. Wie anderen Rezensenten vor mir hat mich die hervorragende Übersetzung überrascht, ich hatte nie das Gefühl, ein übersetztes Buch zu lesen.
Von mir bekommt das Buch fünf Sterne und eine unbedingte Empfehlung zum Lesen.

Die 1943 geborene und in London und Norwich lebende Schriftstellerin Rose Tremain veröffentliche bisher viele Romane und Kurzgeschichten, die mit Preisen geehrt und in etwa 30 Sprachen übersetzt wurden. Sie schrieb auch für Funk, Film und Fernsehen und ihr Roman "Zeit der Sinnlichkeit" wurde 1995 verfilmt.

Roman, gebunden
333 Seiten
D 22,00 €
A 22,70 €
CH 31,50 sFr
Erscheint am 08.08.2016
ISBN 978-3-458-17684-8

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