15. April 2017

Faustscher Stoff




Thea Dorn hat mit dem Roman "Die Unglückseligen" eine anspruchsvolle, sprachlich herausfordernde Geschichte mit eine Prise Wahnsinn geschrieben, die zum modernen Klassiker werden könnte und mich gefordert, festgehalten und begeistert hat.

Inhalt (Verlag):
Johanna Mawet ist Molekularbiologin und forscht an Zebrafischen zur Unsterblichkeit von Zellen. Während eines Forschungsaufenthalts in den USA gabelt sie einen merkwürdigen, alterslosen Herrn auf. Je näher sie ihn kennenlernt, desto abstrusere Erfahrungen macht sie mit ihm. Schließlich gibt er sein Geheimnis preis. Er sei der Physiker Johann Wilhelm Ritter, geboren 1776. Starker Tobak für eine Naturwissenschaftlerin von heute. Um seiner vermeintlichen Unsterblichkeit auf die Spur zu kommen, lässt sie seine DNA sequenzieren. Als Johannas Kollegen misstrauisch werden, bleibt dem sonderbaren Paar nur eines: die Flucht, dorthin, wo das Streben nach wissenschaftlicher Erkenntnis und schwarze Romantik sich schon immer gerne ein Stelldichein geben - nach Deutschland. 
In ihrem ersten Roman seit "Die deutsche Seele" nimmt Thea Dorn uns mit in die Extreme moderner Biomedizin und zieht uns zugleich in die Untiefen einer romantischen Seele. „Die Unglückseligen“ ist ein großes Lese- und Erkenntnisvergnügen, in dem sich die lange Tradition des Fauststoffes zeitgemäß spiegelt.

Ich gebe zu, dass ich zu Beginn der Lektüre große Schwierigkeiten hatte, mich in die Geschichte hineinzufinden, was vor allem am besonderen Stil des Schreibens liegt. Bei der Stange gehalten hat mich meine große Neugier auf das Buch und die vielen begeisterten Besprechungen, denen ich mich nach dem Lesen nur anschließen kann.

Drei Stimmen führen durch das Geschehen. 
Johanna, die Frau unserer Zeit, 30jährige Molekularbiologin benutzt auch unsere heutige Sprache - Deutsch eingefärbt mit Anglizismen. Johann Ritter verwendet den Sprachtonus seiner Zeit, aus dem späten 18.Jahrhundert, er hat in Anlehnung an die Schriften der Romantiker einen weit ausholenden und ausschmückenden Stil, der dennoch nie langweilt. Die dritte Figur, der Teufel, benutzt eine gewaltige und mächtige Sprache, die gemäß der Autorin ein altes deutsches Versmaß ist und zur Musik wird. Man weiß durch klare Trennung immer sehr genau, welche Figur man gerade begleitet.

Die Sicht und Art des Erzählens selbst wechselt ebenso wie die Sprache, auch hier hat Thea Dorn sehr ungewohnte Wege beschritten.
In einzelnen Passagen wird die Geschichte zum Theaterstück und an einer Stelle gar zum Comic, der fast paralysiert. Das Schriftbild selbst gerät zum Buchkunstwerk, je nach Blickwinkel gibt es verschiedene Schriftarten - einschließlich Frakturschrift. Und eine Fledermaus nebst Abbildung kommt vor, als die Geschichte aus deren Sicht weitererzählt wird - verrückt.

Hervorragende und sicherlich gewaltige Recherchearbeit liefern eine philosophische, geistliche und wissenschaftliche Diskussion in Faustscher Manier über das ewige Leben und das Sterben, wie es der Verlag versprochen hatte. Es ist eine höchst interessante und zugleich anspruchsvolle Thematik, einer Wissenschaftlerin, die den Tod bezwingen will und dafür forscht, den Teufel und einen 240 Jahre alte Menschen zur Seite zu stellen, der wohl unsterblich sein muss. Johanna, die moderne Frau auf der Suche nach Unsterblichkeit, erfährt von Teufel und der Unbeugsamkeit des Todes, Wahnsinn und Liebe, Leben und Genie der sich querstellenden heutigen Wissenschaft, die mehr neue Geheimisse zu erzeugen scheint als preisgibt. 

Für mich war es ein hochinteressantes Thema, ein höchst ungewöhnlicher Lesegenuss und großes Vergnügen an der Sprache und an der Optik des Textes. Ich habe zugegebenermaßen lange gebraucht beim Lesen, aber die Geduld hat sich sehr gelohnt und ich kann allen Liebhabern anspruchsvoller und ungewöhnlicher Lektüre nur empfehlen, das Buch zu lesen, es ist ein echtes Highlight.



Thea Dorn 
"Die Unglückseligen"
Roman gebunden
569 Seiten
Erschienen im Knaus Verlag
Februar 2016
ISBN 9783813505986
Preis 24,99 €

(erscheint als Taschenbuch im Dezember 2017)





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.