20. April 2017

Geschichte über Freundschaft, Vertrauen und Betrug





Das Buch "Die Guten" von Joyce Maynard hat mich überrascht und von Anfang an gefangen gehalten. Der unaufgeregte und dennoch fesselnde Stil der Autorin, die Geschichte selbst und die nahe Beziehung zu ihren gut gezeichneten Figuren haben diesen Roman zu einen besonderen und empfehlenswerten Leseerlebnis für mich gemacht.

Die Protagonistin Helen versucht nach ihrer Scheidung von Dwight für sich und ihren kleinen Sohn Oliver als Fotografin und mit Kellner-Jobs zu sorgen. Ihr allabendlicher Weingenuss wird ihr zum Verhängnis, sie wird mit ihrem kleinen Sohn auf dem Weg ins Krankenhaus mit Alkohol am Steuer angehalten und verliert das Sorgerecht für ihren Sohn, der der Stern ihres Daseins ist. Nur alle zwei Wochen darf Helen ihren Sohn Oliver für ein paar Stunden sehen, der in seiner neuen Familie allein gelassen und unglücklich ist und sich immer mehr von seiner Mutter entfremdet. Helen räumt schnell und rigoros mit ihrem Alkoholsucht auf, hat aber dennoch wegen hoher Schulden wenig Chancen, Oliver schnell zurück zu bekommen und leidet sehr darunter. 
In dieser Situation lernt sie ein reiches hundevernarrtes Ehepaar, Ava und Swift Havilland, kennen, die Helen als Fotografin engagieren. Ava nimmt sich ihrer an, und schon bald geht sie im Haus der Havillands ein und aus, erledigt viele aufgetragene Aufgaben. Das charismatische Paar ist sehr großzügig, Helen genießt die Aufmerksamkeit der beiden sehr. Sie wollen ihr sogar dabei helfen, den Sorgerechtsprozess um Oliver zu bestreiten, doch irgendwann merkt Helen, dass dies alles mit Bedingungen gekoppelt ist und nach Ablösen der glanzvollen äußeren Lackschicht nicht alles ist wie es scheint.

Helen wirkt anfangs kraftlos und von ihrer Trauer um den Verlust des Sohnes beherrscht. Sie ist zwar beim Bekämpfen ihrer Alkoholsucht auf dem richtigen Weg, scheint aber für de Wiedererlangung des Sorgerechtes gegen Windmühlen zu kämpfen. Wie ein hohles Gefäß wird sie durch das perfekt erscheinende Ehepaar mit Lebensmut und Freude angefüllt. Helen lässt alle alten und neuen sozialen Beziehungen hintenanstehen und gibt sich völlig den Wünschen von Ava und Swift hin. Man möchte Helen schütteln, weil beim Lesen unterschwellig trotz allen Glanzes und Glücks ständig ein ungutes Gefühl präsent ist.

Langsam und unglaublich geschickt steigert die Autorin den Spannungsbogen, so dass man das Buch nach dem interessanten Auftakt kaum weglegen kann. Es ist keine plump-angstvolle Spannung, die aufgebaut wird, sondern eher das Schüren der Neugier durch subtile Verwicklungen und durch die Nähe zur Hauptfigur Helen, in der man sich von Anfang an befindet. Geschickt eingebaute Rückblicke und der Blick durch die Augen von Helen sorgen für ein rundes Bild auf das Geschehen, das genug Verwirrung für die Leselust stiftet, aber nicht so sehr verwirrt, dass man den Überblick verliert. 

Die Charaktere sind lebensecht und unterschiedlich genug dargestellt, um authentisch und interessant zu wirken. Helen als zurückhaltender jungen Frau, geprägt von freudloser Kindheit und völlig fehlgeschlagener Ehe, wird das weltoffene und überaus glückliche Ehepaar Havilland gegenübergestellt, mit ihrem weitläufigen Haus, dem erlesenen Freundeskreis, den gesellschaftlichen Verbindungen und den glanzvollen Parties. Ava, obwohl an den Rollstuhl gebunden und völlig abhängig von ihrem Ehemann, tritt sehr selbstbewusst, ein wenig glamourös und weltoffen auf. Ihr Ehemann Dwight gleicht einem kleinen Jungen, der jedem Spaß im Leben mit der Freude eines Kindes hinterher jagt und mit seiner ansteckenden Art Helens Sohn Oliver aus der Dumpfheit und Betäubung aufzuwecken vermag. 

Das Buch ist Charakterstudie, Entwicklung, Gesellschaftskritik und nicht zuletzt eine interessante und sehr lesenswerte Geschichte über Manipulation und Verlust. Feinsinnig, intelligent und eindringlich spinnt die Autorin den Faden für den Leser mit der Geschichte, die sich tatsächlich so zutragen könnte. Am Ende fragt man sich, wie weit man selbst bereit wäre sich aufzugeben oder ob man stark bleiben könnte. Ich gebe eine unbedingte Leseempfehlung für diesen großartigen Roman, der nicht der letzte der Autorin für mich sein wird.

Joyce Maynard, die bereits mehrere vielbeachtete Romane und Sachbücher veröffentlicht hat, lebt und schreibt in Kalifornien. Internationaler Bestseller wurden ihre in viele Sprachen übersetzten Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit mit dem Schriftsteller J.D. Salinger.


Joyce Maynard "Die Guten"
Broschürt, 384 Seiten
Erschienen bei Harper Collins
Oktober 2016
ISBN 9783959670487
16,00 €

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